Von den Anfängen der DPSG

Der vom ersten Reichskurat Emmerich Wolter (1929 bis 1936) anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der DPSG im Jahr 1959 verfasste Artikel mit der Überschrift „Es begann vor 30 Jahren“, erschien unter anderem in der Leiterzeitschrift Entwürfe 3/1976.
Beim Reichsthing 1931


Ostern 1931 beim 2. Reichsthing der DPSG in Schönstatt/Rhein.

In der ersten Reihe links Generalspräses Wolker, in der Mitte Reichsfeldmeister Willi Werner, rechts neben ihm Bundeskurat Kaplan Emmerich Wolter (zweiter von rechts).











Es begann vor 30 Jahren

1928 zogen wir in den Sommerferien zum fünften Mal auf Großfahrt. Dauerland und Eifel hatten wir durchwandert. Das Ausland lockte. Luxemburg war unser Ziel. All unsere Fahrten trugen bündisches Gepräge, auch für den, der sich sonst im Laufe des Jahres wenig um Fahrt und Wanderung und bündisches Jungenleben kümmerte.

Fünf Jahre, das musste gefeiert werden! So dachten einige ältere „Knaben“. Wie geplant, so kam es. Aber nicht alle wollten so. Daher gab es Reibereien, Streitigkeiten, Krach und wenig Freude in den acht Tagen. Mir verging die Lust, ich hatte ernstlich vor, die Fahrt abzubrechen und heimzufahren.
Mitte der Woche waren wir in der Stadt Luxemburg. Dort erwarteten uns katholische Pfadfinder. Sie hatten vor der Stadt ihr Lager aufgebaut. Wir waren ihre Gäste. Einen ganzen Tag verbrachten wir bei ihnen, lernten ein neues Jungenleben kennen, von dem wir nur eine dunkle Ahnung hatten. Daheim war der eine oder andere Freund und Kamerad bei den Pfadfindern, aber niemand wusste, was es eigentlich mit den Pfadfindern auf sich hatte. Die Begegnung mit den Pfadfindern wirkte sich zunächst gar nicht auf unsere „Jubiläumsfahrt“ aus. In Mondorf erreichte das „Jubiläum“ seinen Höhepunkt. Ich war es gründlich satt und sagte mir: nie mehr auf Fahrt ohne innere und äußere Vorbereitung eines jeden Jungen.

Daheim fand sich die Kerngruppe der Fahrt wieder im Heimabend. Man sprach nicht mehr über die „Jubilare“. Etwas anderes hatte gezündet und alle in den Bann geschlagen: die Pfadfinderei. Was man in Luxemburg kann, das können wir auch. Im Zeichen der Pfadfinderei standen fortan die Heimabende des Winters und in der Ferne winkte für den Sommer das erste Pfadfinderlager. Es war gewagt, mit dieser neuen Idee zu kommen. Das Leben der katholischen männlichen Jugend war damals fest und straff in vielen Bünden und Verbänden organisiert, vor allem im „Katholischen Jungmännerverband“. Neue Gruppen und Organisationen waren nicht willkommen.

Trotzdem standen wir Pfingsten 1929 als erste Pfadfindergruppe oder besser gesagt als erste Jugendgruppe in Pfadfinderkleidung, bestehend aus olivgrünem Hemd mit violettem Halstuch, unter den katholischen Wandergruppen bei einem Treffen in Gmünd in der Eifel. Hier stieß ein neuer Freund zu uns: Pfarrer Dr. Hörle aus Frankfurt-Riederwald. Auch bei ihm „pfadfinderte“ es. Er kam eigens, um uns kennenzulernen. Vor allem freuten wir uns, dass ein Pfarrer zu uns hielt. Das Treffen verregnete total. Aber wir hatten einen Gewinn: Pfarrer Dr. Hörle versprach, mit dem Jungmännerverband Verbindung aufzunehmen, denn darüber bestand Klarheit: Nur in Verbindung mit dem größten Verband katholischer Jungen kann die katholische Pfadfinderarbeit beginnen.

Die wenigen Wochen des Sommers dienen der Vorbereitung des ersten Lagers, zu dem wir Ende Juli 1929 für 14 Tage nach Dreiborn in die Eifel fuhren. Wir hatten Zelte gekauft und selbst gebaut. Es gab schon ein Vorratszelt, ein Gerätezelt, eine „Lagerkaplanei“, ein großes weißes Rundzelt als Versammlungszelt. Dieses Zelt war die erste Handfertigkeit eines Jungen. Wir waren zwar noch keine Pfadfinder im Sinne des Versprechens, ließen uns aber gern so nennen und waren stolz darauf. Über dem Lager wehte das grüne Banner mit einer weißen Lilie. Willi Werner war Lagerführer. Es gab Brückenbau, Nachtfahrt, Geländespiele, Wild beobachten und beschleichen, fünf Hähne wurden auf einmal am Spieß gebraten! Das Lager ist allen unvergesslich geblieben.

Aus der romantischen Welt des Lagers heimgekehrt hieß es nun: Was wird aus der Pfadfinderschaft? Wie stehen die Dinge beim Verband. Die Führerzeitschriften des Verbandes hatten zum Pfadfindertum Stellung genommen, teils bejahend, teils vorsichtig kritisch. Pfarrer Dr. Hörle veröffentlichte die erste Prüfungsordnung. Unsere Jungen drängten danach, Prüfung und Pfadfinderversprechen abzulegen.

Aus Schlesien meldeten sich jetzt auch Pfadfinder. Sie waren von Österreich her mit der Pfadfinderei bekannt geworden (Österreichisches Pfadfindercorps St. Georg). Sie hatten ein eigenes Abzeichen, die Kreuzlilie und trugen blaue Halstücher. Sie besaßen eine eigene Organisation, die von den Österreichern einfach übernommen wurden. Das gefiel uns nicht. Wir wollten Eigenes aufbauen und vor allem die fremden pfadfinderischen Ausdrücke durch deutsche ersetzten. Die Schlesier hatten wenig oder gar keine Verbindung zum Jungmännerverband. Während alle unsere Jungen Mitglieder des pfarrlichen Jungmännerverbandes waren, standen sie teils in, teils außerhalb des Verbandes. So wurden ihre Pfadfindergruppen vielfach abgelehnt und sogar bekämpft. Eine solche Entwicklung wollten wir nicht. Lieber auf die liebgewordene Idee verzichten, als sie mit persönlichen und gehässigen Gegensätzen durchzusetzen versuchen.

Im Oktober 1929 tagte in Altenberg der Vorstand des Katholischen Jungmännerverbandes, ein geachtetes Jugendparlament. Pfarrer Dr. Hörle hatte Wort gehalten und war als Anwalt und Wortführer der Pfadfinder eingeladen. Inzwischen hatten wir von Elberfeld aus andere Gruppen in- und außerhalb der Stadt pfadfinderisch „infiziert“. Während der Altenberger Tagung – es war am 7. Oktober 1929 – wurde ich telegrafisch nach Altenberg gerufen. Pfarrer Dr. Hörle empfing mich und sagte: „Wir haben gewonnen, wenigstens so viel, dass wir vorwärtskommen. Du sollst die Bundeskanzlei übernehmen“. Ich sagte dazu mein Ja. Und was war nun der Erfolg? Die Pfadfinder werden auf Probe innerhalb des „Katholischen Jungmännerverbandes“ die Möglichkeit haben, in ihren Gruppen zu arbeiten und auch neue Pfadfindergruppen zu gründen.

Auf Probe! Das war echt pfadfinderisch. Eine Probe für alle. Eine Probe unserer Treue als katholische Jugend und unserer pfadfinderischen Art und Haltung. Allenthalben war man mit dieser Lösung zufrieden. Wir verdanken sie der klugen und aufrechten Haltung unseres Pfarrers Dr. Hörle und dem steten Wohlwollen unseres Generalspräses, Prälat Ludwig Wolker. Unsere schlesischen Freunde waren verschnupft. Sie hatten mehr erwartet, vor allem sofortige Anerkennung der Pfadfinderschaft als eigener Bund. Leider sind die ersten schlesischen Gruppen eigene Wege gegangen. Sie haben damit unserer Idee sehr geschadet.

Nun lief das Probejahr an. Nach seinem Ablauf sollte endgültig über die Pfadfinderschaft beschlossen werden. Zur gleichen Stunde, da die Pfadfinderschaft auf Probe anerkannt wurde, hob man die Sturmschar als anerkannte Gliederung des Verbandes aus der Taufe. Sie umfasste von da ab alle Wandergruppen, die nicht zur Pfadfinderschaft wollten.

Die Elberfelder Jungen nahmen die Altenberger Lösung freudig auf. Ihr Kurat war der Leiter der Bundeskanzlei, und sie konnten somit viel Einfluss auf die weitere Entwicklung der Pfadfinderschaft nehmen. Acht Tage später legten alle, etwa 30 Jungen, ihr Versprechen ab auf das grüne Banner. Die Halstücher wurden gewechselt, statt violett blau. Die Kreuzlilien waren alle mit der Hand gestickt.

Der Altenberger Beschluss ließ viele im Land aufhorchen. Aus allen Teilen Deutschlands kamen Anfragen und Wünsche. Ich hatte mit einigen Jungen vollauf zu tun, um Briefwechsel, Materialsendung und auch persönliche Besuche und Ansprachen zu bewältigen. Weihnachten gaben wir den ersten Rundbrief heraus. Er erschien von da ab regelmäßig, zunächst vervielfältigt, später gedruckt. Die Schriftleitung übernahm Willi Werner. Wir gaben dem Bund dann auch das Banner: das rote Kreuz auf weißem Grund und in der Mitte die Kreuzlilie. Das erste Banner, das die Elberfelder Jungen mir später schenkten, ging 1944 im Bombenkrieg verloren. Das große Domjubiläum in Speyer 1930 sah zum ersten Mal ein größeres Treffen der Georgspfadfinder. Aus allen Teilen Deutschlands waren wir zusammengekommen.

Das Probejahr war längst überholt, als wir im Juni auf dem Verbandstag in Trier feierlich als Gliederung des Jungmännerverbandes anerkannt wurden. Wir waren in die Tausende gewachsen. Echtes pfadfinderisches Können und Leben erfüllte die meisten Stämme. Willi Werner gab als erster Reichsfeldmeister das Wort der Treue. Ich wurde der erste Reichskurat.

Von da ab wuchs die „Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg“ in die Breite und Höhe, aber auch in die Tiefe. Noch hatte keiner eine Ahnung, dass die Feuerprobe der Nazizeit vor der Tür stand. Und als diese Probe gefordert wurde, hielt der Bund auch da die Treue. Äußerlich ging er wie alle anderen unter. Aber sein Geist kehrte von den Schlachtfeldern, aus den Kasernen und aus der Kriegsgefangenschaft heim und erweckte ihn zu neuem Leben, schöner und größer als wir von 1929 bis 1930 es je geträumt hatten.

Pfarrer Emmerich Wolter

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