Vom Aufbruch der katholischen Jugendarbeit nach dem Kriege

Der ehemalige Göttinger Stammesfeldmeister, Winfried Henze, erinnerte sich:

Man hatte überall gleich nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen wieder mit der Jugendarbeit begonnen, es gab noch viele lebendige Erinnerungen an den Jugendaufbruch der dreißiger Jahre, man sang zur Klampfe die Lieder der Jugendbewegung: „Wir wollen zu Land ausfahren“, „Wilde Gesellen, vom Sturmwind durchweht“, „Und wenn wir marschieren, dann leuchtet ein Licht“.


Unter primitivsten Verhältnissen startete die Gruppenarbeit, es gab kaum Pfarrheime. Aber irgendwie hatte man bald einen Kellerraum oder sonst irgendeine Bude hergerichtet, man saß auf alten Kisten, im Winter musste jeder zum Gruppenabend ein Stück Brennholz mitbringen, damit der uralte Kanonenofen geheizt werden konnte.

Es war Hungerzeit, auf Lebensmittelkarten gab es viel zu wenige Kalorien Nahrung, manche hatten keine Schuhe mehr und liefen in Holzlatschen herum – und doch hatte uns eine begeisterte Stimmung erfasst: Wir bauen wieder auf. Und die Parole hieß: „Christus Herr der neuen Zeit!“

Wir hatten in der Bedrängnis der Verbotszeit gelernt, was unsere Kirche wert war: Sie war für uns der Ort der Freiheit und der Wahrheit. Unsere Priester waren für uns die Personen des Vertrauens gewesen in einer Zeit, wo man immer mit Denunziation bei der Gestapo rechnen musste. In den Pfarreien hatte die katholische Jugend in Form von „Seelsorgestunden“ überlebt, nachdem die Jugendverbände alle verboten worden waren.
„Wir sind wieder da!“ – das war unsere Stimmung. Wir holten die vor den Nazis versteckten Jugendfahnen wieder hervor.


Die Pfarrgemeinden blieben aber auch für die „Bündischen“ Ort der Jugendarbeit wie nie zuvor. Es war die paradoxe Folge der Nazibedrängnis, dass die Jugendlichen sich dort organisierten. Und so war auch das Bistum von vornherein unser Lebensraum.

Überall herrschte Not – und Superstimmung. Wir wälzten wenig Probleme, dafür wurde stundenlang gesungen, es gab Laienspiel und Freude an der liturgischen Vorbereitung unserer Gemeinschaftsmessen.

Wir haben damals fast alles auf eigene Faust in Gang gebracht, ohne viel Zutun der Priester. Sie waren uns wichtig als Seelsorger, wir feierten mit ihnen die wöchentlichen Gemeinschaftsmessen und samstags die Komplet, wir gingen bei ihnen zur Beichte.
Aber wir warteten niemals, bis sie etwa für uns ein Jugendlager organisiert oder einen Lagerfeuerabend vorbereitet hätten, und Geld von der Pfarrei gab es natürlich auch nicht.
Die Gruppenführer kümmerten sich sehr verantwortungsbewusst um ihre Leute, und in den Gruppenstunden lasen sie nicht selten aus dem Neuen Testament oder aus religiösen Schriften vor. Man hatte Spaß an Laienspiel und „Fez-Abenden“.

Dass damals Jugendliche in so großer Zahl zu uns strömten, hatte auch äußere Gründe: Wir waren konkurrenzlos. Es gab keine Disco, kaum Kinos, noch längst kein Fernsehen, die Sportplätze waren umgegraben und in Gemüseäcker verwandelt.

Aber wichtiger noch war wohl, dass wir im ganzen Bistum überall Gruppenführer hatten, die ganz vom Glauben und von kirchlicher Gesinnung durchdrungen waren. Etliche sind von diesem Einsatz aus zum Priestertum gekommen, und es war der Stolz einer Gruppe, wenn einer aus ihren Reihen die Priesterweihe empfing.

Winfried Henze gehörte zu den Wiederbegründern des Pfadfinderstammes Göttingen nach dem Krieg. Er war zuerst Wölflingsmeister, danach Kornett der Sippe Raben und anschließend Stammesfeldmeister. Im Jahr 1948 nahm Winfried Henze an einen Woodbadgekurs in Gillwell Park, England, teil.
Am 18. Juli 1954 wurde er in Hildesheim zum Priester geweiht.