Osterfahrt Rollshausen und Seeburger See

„Ein Teil des Stammes verbrachte die Ostertage (20.-22. April) in Rollshausen und am Seeburger See. Die Leitung hatten Bruno Urbaschek und Bernhard Metze.“

So viel berichtet die handschriftliche Stammeschronik.


In der Stammeszeitung „Unser Pfad“, vom Mai 1946, erschien dann noch ein kurzer Rückblick:

Fahrt nach Rollshausen
Sie liegt schon wieder in der Erinnerung. Schön war es am Seeburger See. Der Frühling, der See, die Gemeinschaft und für uns Diasporajungen das Erlebnis des urkatholischen Landes. Wir möchten auch hier noch einmal für die herrliche Aufnahme in Rollshausen danken, allen voran dem Herrn Pfarrer, dem Herrn Bürgermeister und Schwester Lilli! Schade nur, dass uns die Pfarrjugend dort leicht ablehnend gegenüberstand. Sollte nicht das Bindende als Brüder in der Gemeinschaft auf beiden Seiten stärker sein als unberechtigte Vorurteile?
Bernhard (Metzte, Hilfsfeldmeister)


Eine Wanderung zum nahe gelegenen Seeburger See stand ebenfalls auf dem Programm.


Mit den beiden kurzen Passagen wäre die zweite Wochenendfahrt des Stammes im Jahr 1946 eigentlich abschließend erzählt.






Auf Spurensuche – ein Bericht von Manfred Reddig

Gerne wollte ich für unsere Chronik noch etwas mehr über eine der ersten Fahrten nach dem Wiederbeginn des Stammes herausbekommen. Gespräche mit Ehemaligen blieben leider erfolglos. Bilder der Fahrt liegen auch nicht vor. So gingen mir verschiedene Gedanken und Fragen durch den Kopf, wie die Fahrt wohl abgelaufen sein könnte:

Über meine diesbezüglichen Erkundungsfahrten und Gespräche möchte ich einmal berichten. Sie sollen stellvertretend einen kleinen Einblick über die vielfältigen Aktivitäten zur Entschlüsselung unserer Stammesgeschichte geben.

Auf einer meiner Fahrten durch den Landkreisreis Göttingen bin ich einfach mal geradewegs nach Rollshausen gefahren. Ich parkte mein Auto und umrundete zu Fuß die örtliche katholische Kirche und begab mich anschließend wieder zu meinem Pkw.
Gegenüber, hinter einem Gartenzaun beobachtete mich eine Frau und fragte, ob sie mir wohl wegen meiner suchenden Blicke helfen könnte. Ich ging zu ihr hinüber und erklärte kurz, was mich als ehemaligem Göttinger Pfadfinder so an Rollshausen interessierte. Das war ein Volltreffer! Wir kamen näher ins Gespräch und sie eröffnete mir, dass sie im Kirchenvorstand tätig sei. Sie würde mir sehr gerne behilflich sein. Natürlich erinnerte sie sich aufgrund ihres Alters nicht an die damalige Pfadfinderfahrt, noch waren ihr die benannten Personen bekannt. Als ich mich nach eventuell vorhandenen schriftlichen Quellen erkundigte, erfuhr ich, dass sie aufgrund der Vorstandstätigkeit einige Chronikunterlagen verwahrte. Sie bat mich um etwas Geduld und machte sich gleich auf, diese in der Wohnung zu suchen. Tatsächlich kam sie sehr bald zurück und hatte einige Unterlagen dabei. Es handelte sich um eine Gemeindechronik sowie um eine Kopie der Kirchenchronik. Ob ich die eventuell durchsehen dürfte, war meine Frage. Ohne großes Aufsehen übergab sie mir alle Materialien, die ich dann in den nächsten Tagen gerne wieder zurückbringen dürfte. Ich war fast sprachlos, aber auch sehr gespannt, ob ich etwas nach dem Studium herausbekommen würde. Mit Dank verabschiedete ich mich und fuhr nach Göttingen zurück.

Noch am Abend verschlang ich die umfangreichen Aufzeichnungen nach geeigneten Fundstellen. Innerhalb weniger Stunden kannte ich mich über die Geschichte in Rollshausen schon sehr gut aus. Am Ende der Papierarbeit hatte ich keine direkten Ergebnisse zu der Stammesfahrt herausfinden können. Aber einige Stichworte notierte ich mir, um beim nächsten Besuch in Rollshausen näher nachzufragen. Die Gemeindechronik erbrachte für meine Fragestellungen eher wenige Informationen. Im Gegensatz dazu war die Kirchenchronik teilweise sehr aussagefähig geführt worden. Je näher ich dem für mein Vorhaben entsprechenden Zeitraum kam, musste ich enttäuscht feststellen, dass genau für die Zeitspanne von Ende 1945 bis Anfang 1946 entsprechende Aufzeichnungen fehlten. So ein Pech, dachte ich.


Erste Ergebnisse

Einige Tage später fuhr ich nach telefonischer Ankündigung wieder nach Rollshausen, um die ausgeliehenen Unterlagen zurückzugeben. Bei dieser Gelegenheit erkundigte ich mich noch nach Schwester Lilli. Die freundliche Dame bat mich in ihren großen Garten und stellte mir ihre Eltern vor. Ja, die konnten sich an die Schwester noch dunkel erinnern.

Gleich im Anschluss daran begleitete mich die Frau zu einer 84-jährigen Dame, die sich sehr gut über allerlei Vergangenes aus Rollshausen erinnern würde. Bei ihr durfte ich im Wohnzimmer Platz nehmen und meine Fragen stellen. Als sie selber noch ein junges Mädchen war, lernte sie Schwester Lilli persönlich kennen. Sie wohnte damals in der oberen Etage des weitläufigen Pfarrhauses, war aber eine weltliche Schwester. Sie führte den Kindergarten und kümmerte sich um viele Kleinigkeiten in der Gemeinde. Auch erfuhr ich, dass Schwester Lilli sehr gut kochen konnte und in der schlechten Zeit oftmals die Kinder mit warmen Mahlzeiten versorgt hatte. Meine Gesprächspartnerin hatte sogar bei ihr kochen gelernt. Die Schwester hatte immer, wenn irgend möglich, sehr ausgeholfen!
An den Pfarrer zu der fraglichen Zeit erinnerte sie sich, jedoch sein Name war ihr entfallen.
Auch das von mir in der Chronik entdeckte Jugendheim kam zur Sprache. Es handelt sich um ein kleineres Gebäude, welches direkt neben dem Pfarrhaus liegt. Das Gebäude existiert noch heute und wird von dem Kindergarten als kleine Turnhalle benutzt. Über damalige mögliche Veranstaltungen der Gemeindejugend hatte sie keine Erinnerungen. Nun wollte ich gerne noch etwas zu dem Bahnhof erfahren. Ja, in Rollshausen stand und steht am Ortsrand ein Bahnhofsgebäude. Hier entlang führte die Bahnstrecke von Wulften nach Duderstadt. Nach ihrer Erinnerung fuhren bereits Anfang 1946 wieder Züge. Heute ist die Strecke stillgelegt.


So viel freundliches Entgegenkommen hatte ich bei meinem Besuch nun wirklich nicht erwartet. Mit einem herzlichen Dankeschön und einigen neuen Erkenntnissen machte ich mich auf den Heimweg. Da ich nun wusste, wo sich das Jugendheim befindet, fertigte ich gleich noch einige Fotos an (Sept. 2016).

Dieser Bericht soll aufzeigen, dass die Beschäftigung mit unserem Stammesarchiv und der daraus entstehenden Stammesgeschichte weit mehr als nur trockenes und verstaubtes recherchieren in umfangreichen alten Akten bedeuten kann. Gespräche mit vielen, oftmals sehr zuvorkommenden und häufig unbekannten Menschen sind gewissermaßen das Salz in der Suppe. Diese Erfahrungen haben mich ausnahmslos persönlich bereichert und positiv berührt.

Die neu gewonnenen Erkenntnisse lassen folgendes ergänzendes Bild von der Fahrt entstehen …

Zunächst fielen mir einige Parallelen bezüglich der kürzlich absolvierten Fahrt des Stammes nach Herzberg auf.

Bahnhof Rollshausen Bahnhof Rollshausen


Die Entscheidung, eine Fahrt nach Rollshausen durchzuführen, ist nach mündlicher Überlieferung aufgrund bestehender familiärer Band mit einem unserer Pfadfinderführer getroffen worden. Wie bereits bei der Fahrt nach Herzberg im März des Jahres wurde auch dieses Mal wieder mit der Bahn angereist. Ein Bahnhof in Rollshausen war zu der Zeit an der Bahnstrecke nach Duderstadt vorhanden. Da der Stammesfeldmeister Bruno Urbaschek mit dabei war, bestand nicht die Möglichkeit, beispielsweise mit Fahrrädern zu fahren. Bruno wäre aufgrund einer während seiner Militärzeit erlittenen schweren Verletzung dazu gar nicht in der Lage gewesen.



Ein besonderer Pluspunkt war die Unterbringung in dem kleinen Jugendheim, denn die Zeltsaison war noch nicht so weit.




Da Bernhard Metze in seinem Rückblick zu der Fahrt Schwester Lilli erwähnt hatte, ist auch aufgrund der Erkenntnisse meiner Recherchen sicher davon auszugehen, dass sie in ihrer fürsorglichen Art und Weise die „Stadtkinder aus Göttingen“ entsprechend bekocht hatte. Die vorgefundenen Möglichkeiten zur Unterbringung sowie einer freundlichen Bewirtung waren wieder einmal grundlegend für die Durchführung der Fahrt.

St. Margarita in Rollshausen St. Margarita in Rollshausen


Dass sie die Feier der Ostertage im katholischen Eichsfeld in
besonderer Weise erleben durften, hatte Bernhard ebenfalls erwähnt.


Nicht unerwähnt bleiben soll die Unterstützung der Pfadfinder durch den Pfarrer und den Bürgermeister von Rollshausen. Während sie sich von den „Honoratioren des Ortes“ bestens betreut fühlten, erlebten sie dagegen eine „leichte Ablehnung“ durch die Pfarrjugend, wie es Bernhard in seinem Bericht formulierte. Das im Dorf so bald nach dem Ende des Krieges bereits wieder organisierte Kinder und Jugendliche und dazu noch aus der Stadt Göttingen zu Gast waren, verwunderte sicherlich die meisten Jugendlichen vor Ort. In einer Zeit, als Reisen bzw. Fahrten noch nicht wieder üblich waren, erstaunte sie das umso mehr. Mit Pfadfindern, die sogar ihre Klufthemden und ein Banner dabei hatten, gab es in der Vergangenheit keine Berührungspunkte. Was mag in ihren Köpfen vorgegangen sein?
Eine ähnlich gelagerte Reserviertheit hatten die Göttinger erst kürzlich in Herzberg erlebt. Sicherlich hatte das Erlebte auch die Pfadfinder nachdenklich gemacht, auch sie mussten ihre Erwartungshaltung entsprechend überdenken.