Sommerfahrt der Pfadfindersippe Gemsen nach Österreich/Zillertal und Italien/Venedig


Flagge Östereich Flagge Italien

Im Sommer unternahmen die Gemsen ihre große Sippenfahrt.
Sie hatten sich zwei völlig gegensätzliche Ziele ausgesucht.

Nach unseren Archivunterlagen war das die überhaupt erste Auslandsfahrt des Stammes seit dem Jahr 1931.



Umfangreiche Vorbereitungen waren zu treffen

Entsprechend ihrem Sippentier – Gemsen – stand zuerst eine alpinistische Herausforderung an. Kornett Dieter Kreer war Mitglied im Alpenverein. So bekamen sie die nötigen Informationen und auch einige Ausrüstungsgegenstände für die Sippe. Ohne eine fundierte Tourenbeschreibung wäre diese Gipfelbesteigung nicht gefahrlos zu bewältigen gewesen. Trainiert hatten sie ihre persönliche Kondition schon ganz gezielt. Hierzu boten insbesondere die Felsen im Weißwassertal gute Übungsmöglichkeiten, wo sie so manches Wochenende verbracht hatten.



Der Einkauf von Lebensmitteln war streng reglementiert

Man bedenke, es war das Jahr 1947, und es war nicht einfach so möglich, entsprechenden Proviant mal eben im Geschäft zu kaufen. Es war die Zeit der Zuteilung, die durch die Ausgabe von Lebensmittelkarten geregelt war. Gemeinschaftlich hatten sie einige entsprechende Karten für Lebensmittel, die sie für die Dauer der Fahrt benötigten, gesammelt.

Ausweiskarte für den Bezug von Lebensmittelkarten Ausweiskarte für den Bezug von Lebensmittelkarten


Dieter Kreer erzählte, dass sie ein Geschäft fanden, wo sie dann unter Vorlage der Karten doch alles, so quasi unter der Hand, besorgen konnten.


Über die allgemeine Verfahrensweise sowie den Umgang mit Lebensmittelkarten wird in einem eigenen Kapitel berichtet.


Vorher galt es allerdings noch zu überlegen, wie denn das umfangreiche Material für die Bergtour an den Zielort kommen könnte.

Keineswegs konnten die speziellen und auch schwergewichtigen Ausrüstungsgegenstände von den Jungen die ganze Strecke mitgetragen werden. Auch die ergatterten Lebensmittel mussten transportiert werden.

Kornett Dieter Kreer erzählte die Geschichte der sogenannten Kiste:

„Es war ein ca. 80 Kubikmeter großer Pappkarton, der innen mit stabilen Kartonplatten verstärkt war. In diesem hatten wir unsere gesamte alpine Ausrüstung – Seile, Zwölfzacker, das sind die Steigeisen für die Gletscherwanderung – sowie unsere Vorräte an Proviant zu meinem Freund Albrecht Rossman in Freilassing vorgeschickt.“



Soweit war alles gut vorbereitet

Von Göttingen startete die Fahrt mit einem Lkw, der auf dem Hof des Wohnhauses von einem der beteiligten Pfadfinder stationiert war.
Es ging ohne Unterbrechung bis nach Frankfurt. Hier war die vergleichsweise komfortable Anreise zunächst beendet. Der Lkw fuhr in Frankfurt zum Obstmarkt, um dort einzukaufen und dann nach Göttingen zurückzukehren.

Ab hier setzten sie ihre Reise, in Gruppen aufgeteilt, per Anhalter – so wie damals allgemein üblich – fort.

Bruno und Jürgen auf dem Zeller See Bruno und Jürgen auf dem Zeller See




Über Stuttgart, Augsburg, München erreichten sie im Allgäu einen schönen alten Bauernhof. Er gehörte der Verwandtschaft eines Jungen aus dem Göttinger Stamm. Hier erlebten sie eine kurze aber schöne Zeit, um dann nach Freilassing nahe Salzburg zu trampen.
Dort angekommen konnten sie die vorausgeschickte Kiste mit der alpinen Ausrüstung und dem Proviant bei dem Freund von Dieter in Empfang nehmen.

Von nun an wurde die Reise mit samt der Kiste etwas beschwerlicher. Aber die nahe Bergwelt schien schon zum Greifen nahe. Bald war der Ort Zell am See erreicht. Eine Bootsfahrt auf dem Zeller See wurde zu einer kurzen aber vergnüglichen Erholungspause genutzt.

Dieter berichtete über den weiteren Weg mit der Kiste:

„Wir kamen bis zum Anfang der Straße zum Gerlospass. Die Kiste hatte schon ein ordentliches Gewicht. Da im Gebirge wenig Verkehr war, habe ich meine Sippe über den Gerlospass vorgehen lassen nach Zell an der Ziller.
Ich blieb mit der Kiste an der Einfahrt zum Gerlospass zurück. Es war wenig Verkehr und ich wartete einige Stunden mit der Kiste. Dann hatte ich Glück. Ein junges Paar aus Braunschweig hielt an und fragte, ob sie helfen könnten. Ihr Auto war jedoch schon so beladen, das sie mich nicht mitnehmen konnten. Nach kurzer Überlegung erklärten sie sich bereit, die Kiste bis zum katholischen Pfarramt in Zell an der Ziller mitzunehmen.
Ich ging nur mit meinem eigenen Gepäck einige schöne Kilometer durch die herrliche Landschaft auch vorbei an den Krimmeler Wasserfällen. Es hat alles gut funktioniert. Die Kiste war am besagten Ort.“

Berliner Hütte Berliner Hütte






Die Hochgebirgstour

Die Sippe war nun in Zell an der Ziller wieder beisammen. Vom Pfarramt holten sie ihre Kiste, die ab jetzt ausgedient hatte. Wurde doch der gesamte Inhalt auf alle Jungen verteilt. Ihre bergsteigerische Expedition konnte beginnen.
Das nächste Ziel war der Aufstieg zur Berliner Hütte. Hier, auf 2042 m Höhe, hatten sie ihr Basislager geplant. Schwer bepackt ging es nicht mehr ganz so leichtfüßig voran. Aber bald war das Ziel von Weitem zu erblicken und der folgende Aufenthalt in der Hütte entschädigte von der Mühe.


Am Vorabend der Gipfeltour wurden peinlich genau die Rucksäcke gepackt, dass auch ja kein wichtiger Ausrüstungsgegenstand fehlte, andererseits nichts Überflüssige bei der Tour mitgeführt wurde. Die erholsame Hüttenübernachtung war dann leider schnell vorbei. Früh am Morgen brachen sie gut gestärkt zum Gipfelabenteuer auf. Vor ihnen lag der Aufstieg auf den „Großer Möseler“, so heißt der Berggipfel. Er ist mit 3.478 m Höhe zweithöchster Berg der Zillertaler Alpen. Es waren ja gut 1.500 Höhenmeter zu bewältigen.

Seilschaft Seilschaft






In der Felsregion kamen sie gut voran. Dann folgte ein großes Gletscherfeld, welches es zu überwinden galt. Einer der Jungen war etwas wagemutig und wollte die Festigkeit einer Schneebrücke prüfen und brach ein. Dieter stand zufällig daneben und rammte seinen Eispickel in das Eis, sodass sich der Junge daran festhalten konnte. Er wurde von allen gemeinsam herausgezogen. Die Spalte war ganz schön tief, unten floss Schmelzwasser.
Aufgrund der guten bergsteigerischen Kenntnisse von Dieter war aber glücklicherweise alles glimpflich verlaufen. Ab hier ging die Sippe sicherheitshalber angeseilt weiter bergauf.

Nach Stunden des Aufstiegs erreichte die Seilschaft müde aber glücklich das Gipfelkreuz. Was für ein tolles Gefühl sie dabei empfanden, ist mit Worten kaum zu beschreiben.
Wieder zurück, posierten sie an der Berliner Hütte mit den Wirtsleuten und einigen Zöllnern für ein Erinnerungsfoto.






1. Reihe v.l.:


Kornett Dieter Kreer,

Franz Bank,

Bruno Herwig,

Jürgen Stöcklein,

NN











Italien lockte

Im Anschluss an die erfolgreiche Gipfelbesteigung hatten sie nunmehr ein ganz anderes Ziel im Visier.
Es war damals eine Sehnsucht der Jungen, in diesem Jahr möglichst viel von der Welt zu sehen. Waren doch die Jahre der Unterdrückung der Jugendarbeit in Deutschland endlich überwunden.

Per Anhalter fuhren sie zunächst durch die Alpenregion und machten einen Zwischenstopp in Cortina d`Ampezzo, dort fand ein Jahr später die Winterolympiade statt. Weiter führte die Fahrt in Etappen durch einige norditalienische Städte. Kurze Besichtigungen durften natürlich nicht fehlen.
Schließlich waren sie in ihrem letzten Zielort Venedig angekommen. Die letzten Tage waren schon ein enormer Kontrast zu der vorausgegangenen Zeit im Hochgebirge. Genau so hatten sie sich das bei ihrer Planung der Sommerfahrt gewünscht. Alle waren sich einig, diese Stadt mussten sie gesehen haben.

Venedig Marcusplatz, Jürgen, Bruno, Franz und die Tauben Venedig Marcusplatz, Jürgen, Bruno, Franz und die Tauben

Bruno erzählte:

„Die Bodenplatten in Venedig waren so schön warm, wir brauchten keinen Schlafsack.“

Dieter berichtete:

„In Venedig hatten wir unser Gepäck in einem Kloster abgegeben, da wir an den Lido zum Baden gefahren sind. Als wir zurückkamen, hatte man mir meinen Eispickel geklaut! Er lag beim Rucksack.“


Jede noch so spannende Fahrt geht einmal zu Ende. Die Strecke von Venedig zurück nach Göttingen würde schon so einige Tage in Anspruch nehmen. Je nachdem, wie sie unterwegs von freundlichen Autofahrern mitgenommen würden.
Schließlich wurde es eine Punktlandung. Gerade rechtzeitig zum Beginn des Unterrichts, die Sommerferien waren vorbei, erreichten die jüngsten Sippenmitglieder wieder Göttingen.



Dieser Fahrtenbericht entstand 70 Jahre später. Nach Erzählungen von Dieter Kreer, Bruno Herwig und Franz Bank konnte ich diese Fahrt, sogar um einige Fotos ergänzt, fertigstellen. Jürgen Stücklein erzählte mir, er war von dieser großartigen Fahrt in die Bergwelt so fasziniert, dass er viele Jahre später zu einem begeisterten Bergsteiger wurde.

Manfred Reddig