Persönliche Betrachtung eines Stammesvorsitzenden
– Persönliche Betrachtung eines Stammesvorsitzenden –
1979 wurde ich zum Stammesvorsitzenden gewählt. Vorher war ich 9 Jahre Leiter bei den Jungpfadfindern in Geismar und später bei den Pfadfindern in St. Michael. Mit der Wahl fand auch ein „Generationswechsel“ statt. Die ausscheidenden älteren Leiter übernahmen nun unterstützende Aufgaben wie z. B. die Verwaltung des Zelt- und Freizeitgeländes in Holzerode, die Stammeskasse oder beratenden Funktionen.
Ich hatte mir als Vorstand einiges vorgenommen. Vor allen Dingen wollte ich intensive Kontakte zu den Leitern und Gruppen pflegen. Also besuchte ich 1979 mit meiner Frau und Tochter Jennifer so viele Sommerlager wie möglich und übernachtete dort auch.
Im Lager der Jungpfadfinder Geismar
am Tankumsee bei Gifhorn.
Meine Tochter war bei den Jupis gleich recht beliebt.
Im Sommerlager der Jupis Grone in Wanfried bei Eschwege bekam sie sogar das Maskottchen der Gruppe, Elliot das Schmunzelmonster, geschenkt.
Die etwas abenteuerliche Fährüberfahrt ins Lager der Jupi Geismar II in Eschede bei Celle
bewältigten meine Frau und meine Tochter hervorragend. Das Zeltlager lag auf einer Insel.
Meiner Tochter gefielen die Lagerbesuche ausgesprochen gut. Deshalb dachte ich mir: Die Pfadfinderei ist auch was für Mädchen!
Das Thema Koedukation (Prinzip der gemeinsamen Erziehung von Jungen und Mädchen) war schon mehrfach in der Leiterrunde angesprochen worden, aber die meisten Leiter hielten sich doch sehr zurück.
Jetzt brachte ich das Thema neu auf den Tisch und trieb eine positive Entscheidung voran.
Vielleicht war das auch ein bisschen eigennützig, denn meine Tochter sollte auch die Möglichkeit bekommen, in eine Pfadfindergruppe aufgenommen zu werden.
Bereits 1980 wurde die erste Wölflingsmeute in Geismar für Jungen und Mädchen geöffnet. In Grone wurden die Mädchen der Jungpfadfinderinnen in den Pfadfindertrupp integriert.
Ein Blick in die Zukunft zeigt, dass sich die Entscheidung für meine Familie und auch den Stamm wirklich gelohnt hat. Alle meine 3 Töchter kamen bei den Pfadfindern unter. Auch meine 6 Nichten haben diese Möglichkeit erhalten.
Zwischen den Leitern stehen 1986 die kleinen Mädchen: Jennifer mit ihrer Cousine Charity.
(Charity wurde 2003 Stammesvorsitzende.)
Als Leiterin war ihre Cousine Claudia dabei.
Im
Sommerlager 1996
waren meine Töchter
gemeinsam vertreten, Jennifer mittlerweile als Leiterin.
Ich glaube, dass der Stamm durch koedukative Gruppen reichlich profitiert hat und sich zeitgemäß weiterentwickeln konnte.
Die teilweise langweiligen Leiterrunden versuchte ich interessanter zu gestalten. Schon die Einladungen dazu gestaltete ich oft etwas provokativ.
Viel Althergebrachtes stellte ich infrage, z. B. ob in den Leiterrunden geraucht werden sollte (obwohl ich selber Raucher bin).
Per Mehrheitsbeschluss wurde die dicke Luft beendet und eine Raucherpause eingeführt. Aber auch inhaltlich versuchte ich immer wieder neu Akzente zu setzen.
Als die Band „Catwaezle“ aus Maria Frieden/Geismar einen Gitarristen suchte und mich fragte, ob ich mitwirken wollte, machte ich gleich Nägel mit Köpfen:
„Ihr seid doch sowieso alle Pfadfinder. Machen wir doch eine Pfadfinderband daraus.“
So entstand die Stammesband „Ventures“.
Mit damals modernen Liedern mischten wir die altmodischen Gottesdienste auf.
Neue Lieder, die man auch noch lernen musste, um mitzusingen – mit Gitarren und Schlagzeugbegleitung – waren revolutionär.
Die älteren Kirchenbesucher sparten nicht mit Kritik. Die Jugendlichen fanden es toll und füllten gern die Kirchen.
Die Idee einer
Stammeszeitung wurde geboren und umgesetzt. Nach einem von mir initiierten Anfangsexemplar bildete sich ein Redaktionsteam
und ich konnte mich wieder aus dem Projekt zurückziehen.
Auch die Idee eines
Fördervereins unterstütze ich und war deshalb ein Gründungsmitglied.
Weitere Vorstandsmitglieder waren Pfarrer Fitzner aus Maria Frieden/Geismar und mein Bruder Rolf.
Pfarrer Pfitzner unterstützte uns, wo er konnte.
Mein Bruder übernahm die Außenvertretung im Stadtjugendring. Dadurch konnte er auch eine Verbindung zu den
Pfadfindern der englischen Partnerstadt Cheltenham aufbauen.
Da wir 1981 das
50-jährige Jubiläum des Stammes groß feiern wollten, mussten wir früh mit der Planung anfangen.
Das war wirklich eine große Nummer und kostete viel Zeit und Energie.
Der Stamm erlebte gerade eine ausgesprochene Blütezeit. Engagierte, gute Leiter/innen und eine große Nachfrage brachten dem Stamm nie da gewesene hohe Mitgliederzahlen.
1980 war die höchste
Mitgliederzahl
von 176 erreicht.
Als in St. Heinrich und Kunigunde/Grone mehrere Leiter ausschieden, hatten wir ein großes Problem.
Ich wollte auch nicht kurzfristig nur Löcher stopfen, sondern eine auf die Zukunft ausgerichtete Lösung, da auch weitere Leiter in Grone ihren Rückzug angekündigt hatten.
Gerd Hillmann wollte z. B. als Entwicklungshelfer nach Tansania.
(Wie sich daraus später eine Stammeshilfsaktion entwickelte, erzählt ein eigener Bericht.)
In der großen Leiterrunde mit Rovern stellte ich die Probleme dar und warb für eine Lösung, die nicht allen privaten Wünschen gerecht werden konnte.
Letztendlich folgte die Leiterrunde meinen Empfehlungen, teilweise schweren Herzens.
Einige Rover wurden als Leiter eingearbeitet. Gisbert Wieprecht, der sich mehr in seiner Heimatgemeinde Geismar wohlgefühlt hätte, übernahm mit seiner Frau und Joachim Förster
den Pfadfindertrupp und die ehemaligen Jungpfadfinderinnen in Grone.
Ich kannte Gisbert schon lange, wir waren 1972 zusammen Leiter im Jungpfadfindertrupp Geismar gewesen und ich war froh, dass er der Lösung zugestimmt hatte.
Damit glaubte ich eine langfristige Lösung gefunden zu haben. Doch es sollte ganz anders kommen …
Ich erinnere mich noch, wie ich die Pfadfinder in Grone zu ihrem Sommerlager in Bayern verabschiedet habe. Gisbert klagte über starke Bauchschmerzen.
Kaum zurück kam er schon in die Klinik, wo ich ihn noch besuchte.
Am 02.10.1980 verstarb Gisbert im Alter von 26 Jahren.
Vor seinem Tod wünschte er sich statt Kranz- und Blumenspenden auf seinem Grab Spenden an die DPSG Stamm Göttingen. Von diesen Spenden wurde die
St. Martin-Stiftung gegründet.
Der Tod von Gisbert war eine schwere persönliche Erfahrung, aber irgendwie musste es dann doch weitergehen.
Da Elke den koedukativen Trupp nicht allein leiten konnte (Joachim Förster war wieder ausgeschieden), kamen Sören Trümpler und Thorsten Frank in die Truppleitung.
Was ich nicht bedacht hatte – weil es für uns nie eine Rolle gespielt hatte – war, dass Elke und Sören nicht katholisch getauft waren.
Aber das passte dem neuen Groner Pfarrer überhaupt nicht. Er beschwerte sich bei mir, dass viele Kinder gar nicht aus seiner Gemeinde kamen, darunter sogar Andersgläubige
und das ja nicht mal alle Leiter katholisch sind. So wäre für ihn Jugendgemeindearbeit nicht denkbar.
Ich war entsetzt über seine, meiner Meinung nach unchristlichen Ansichten einer ausgrenzenden Kirche. Hatte ich doch auch sehr weltoffene Priester kennengelernt.
Natürlich waren in den Gruppen auch Kinder aus anderen Gemeinden oder andersgläubige.
Die Gruppenmitglieder brachten immer wieder auch ihre Freunde mit, die wir gern aufnahmen.
Wichtig waren uns immer gute engagierte Leiter, die loyal in unserem Verband arbeiteten. Die Religion war da kein Ausschlusskriterium.
Ich versuchte ihm meine/unsere Meinung näherzubringen, die auch heute noch auf der DPSG Bundeshomepage zu finden ist:
Wir sind ein katholischer Verband. Unsere Werte und unsere Motivation basieren auf dem christlichen Glauben … Wir setzen uns für Gerechtigkeit und für eine gelebte Gleichberechtigung der Geschlechter ein. Die DPSG steht auch Kindern und Jugendlichen aus anderen Religionen offen …
Leider wollte er das so nicht akzeptieren. Auch der Einwand, dass er als Kurat durchaus auch Einfluss auf die Gruppen nehmen konnte, reicht ihm nicht.
Ich hatte den Eindruck, er wollte nicht nur Einfluss, sondern die absolute Kontrolle.
Ab jetzt waren ihm Pfadfinder suspekt, obwohl ihm niemand dazu wirklichen Anlass gab. Jedenfalls versuchten die Pfadfinder sich immer in der Gemeinde zu engagieren, z. B. beim Gemeindefest.
Nach meiner Zeit als Vorsitzender kam es dann
1983 zum Eklat. Alle Pfadfindergruppen verließen die Groner Gemeinde.
In meiner Vorstandszeit in den Jahren 1979–1982 war viel passiert. Gern hatte ich mich vielseitig engagiert.
Der unermüdliche Einsatz war jedoch recht zeitaufwendig und auch anstrengend. So entschied ich mich Anfang 1982 den Stab weiterzugeben.
Persönliche Betrachtung von Peter Tyra